Zum Wesentlichen

Als grober Klotz wandert das Holz in die Werkstatt von Ernst Gamperl, als perfekt gestaltetes Gefäß kommt es wieder heraus. Und hat dabei nicht nur an Form gewonnen, sondern auch an Inhalt. Wie kann etwas so lebendig wirken, das so unbestritten künstlerisch gefertigt wurde? Klärungsversuche bei einem Werkstattbesuch im Maderbichl.

Text: Britta Mentzel, Fotos: Ronald Clauss, Ausgabe 04/20

Auch die Bienen von Ernst Gamperl wohnen in einem Holzbau: der Künstler mit einer Klotzbeute im großen Garten. © Ronald Clauss

Die Verlockung, die Hand auszustrecken und das fast hüfthohe Holzgefäß anzufassen, ist kaum bezwingbar. Man möchte über die Oberfläche streichen, die glatte Innenseite fühlen, es anheben. Die hohlen, erstaunlich leichten Gefäße im Ausstellungsraum üben einen geradezu körperlichen Reiz aus, sie wirken organisch, obwohl sie in höchstem Maße kunstfertig hergestellt sind und sich dann doch in ihrer Endform nach ganz eigenen Gesetzen bewegen. Im Trocknungsprozess schwinden sie um bis zu zehn Prozent; es tun sich Risse auf, die eine Seite beult sich stärker aus als die andere, und die Ränder der Schalen gewinnen einen natürlichen Schwung. Wahrscheinlich ist es das, was Ernst Gamperl mit dem Dialog meint, den er mit dem Material eingeht. Das Holz ist da, er bearbeitet es, es reagiert – das geht so durch alle Arbeitsprozesse bis zum »Finishen«, das eigentlich gar keines ist. Denn das letzte Wort behält das Stück Eiche, Esche oder Ahorn. Manchmal sprechen die Gefäße, um im Bild zu bleiben, noch zehn Jahre nach ihrer Vollendung.

Von tonnenschwer zu hauchzart

Die Werkstatt von Ernst Gamperl im ländlichen Steingaden ist aufgebaut wie eine Maschinenstraße. Draußen lagert das Holz, manche Stämme mit enormem Durchmesser, einige hochbetagt, aber auch jüngere, schlanke Bäume. Auf der einen Seite der Werkstatt kommen die Holzstücke, mit der Motorsäge vorbearbeitet, hinein, durchlaufen die Arbeitsgänge von grob bis fein und stehen am Ende auf der anderen Seite des umgebauten Hühnerstalls in einem kleinen Ausstellungsraum. Die Vielfalt ist enorm, kein Stück gleicht dem anderen. Das liegt zum einen an den Holzsorten, zum anderen an der Verarbeitung. Etwa 20 Methoden hat Ernst Gamperl in den vergangenen 30 Jahren entwickelt. Zum Teil hat er die Maschinen selbst konstruiert, weil es nichts gab, was seinen Ansprüchen genügt hätte. Zunächst zehn, am Ende nur fünf Millimeter dünn ist die Haut der Hohlgefäße, nachdem sie den Drehprozess und das Aushöhlen durchlaufen haben. Das ist der schwierigste Part – viele Kubikmeter Späne müssen dann durch die oft schmale Öffnung, ohne sie zu verletzen. 

Beim Finishen spielt Gamperl mit dem Geschaffenen, legt die Stücke in ein Sumpfkalkbad, reibt sie mit Eisenoxid oder anderen Mineralien ein oder lässt sie auch mal eine Weile im Bergbach liegen. Mal sehen, was die Natur damit macht … 

 

Kuhglocken statt Loft

Schlichtheit und Rationalität sind wesentliche Prinzipien Gamperls, beim Arbeiten wie im Leben. Warum sollte er sein Holz aus einem lebenden Baum holen, wenn er es aus umgefallenen und von Stürmen umgewehten erwerben kann? Weshalb die natürliche Oberfläche unter einer Lasurschicht ersticken oder etwas hinzufügen, wenn es nichts Perfekteres gibt als das gewachsene Holz? Am verblüffendsten ist die Leichtigkeit der Gefäße, selbst wenn sie Hüfthöhe erreichen. Stämme verarbeitet Gamperl vorwiegend als Querhölzer, so dass sich Kern und Ringe an den Seiten abzeichnen. Meist zählt er die Jahresringe und schreibt sie mit seiner Signatur und dem Fertigungsjahr auf den Boden; das hat viel Wertschätzendes. Auf die Verwunderung, wie ihm die Akkuratesse der Rillen gelinge, die den meisten Stücken die Struktur geben, sagt Ernst Gamperl ganz einfach: »mit Rhythmus«. Die handwerkliche Meisterschaft ist für ihn selbstverständlich. Die unprätentiöse Antwort auf die Frage, ob er sich eher als Künstler oder als Handwerker sehe: »Meine Arbeit ist zu 90 Prozent Handwerk – aber die verbleibenden zehn Prozent, die künstlerischen Entscheidungsprozesse, wiegen schwerer.«

Zum Credo der Rationalität gehören auch der Bezug des alten Bauernhofs im Maderbichl und die Werkstatt im ehemaligen Hühnerstall. Im idyllischen Ostallgäu hat der gebürtige Münchner schon während seiner Schreinerlehre gelebt. Später verschlug es ihn und seine Frau Ulrike nach Italien, dort kamen die beiden Kinder zur Welt. Dann wurde ihm in dem Ort oberhalb des Gardasees die Werkstatt zu eng, eine Phase war beendet, und der Wunsch nach Veränderung fand in Steingaden ein neues Zuhause. Den Bauernhof im Maderbichl haben die Gamperls, auch Ulrike ist Schreinerin, von außen neu verschalt und innen umgestaltet. Um das riesige Grundstück setzten sie Büsche, sie legten einen Lehmtümpel an und beschäftigten sich mit der Imkerei – nicht in Bienenstöcken, sondern mit Klotzbeuten, das sind Bienenbehausungen in ausgehöhlten Baumstämmen. Wenn Ulrike und Ernst auf der Terrasse an ihrem einfachen Holztisch sitzen und lebhaft diskutieren, hat man den Eindruck, dass sie hier in Steingaden ihre heimelige Klotzbeute gefunden haben.

Das Universum im Gefäß

Während ihn in Deutschland derzeit nur eine Galerie in Hamburg vertritt, ist Ernst Gamperls Kunst international hoch begehrt und schon weit um den Globus gereist. Vor allem in Asien finden die Arbeiten Anklang, in Korea mehr noch als in Japan. Dorthin hat ihn der Modedesigner Issey Miyake eingeladen. »Er ist einer meiner Mentoren«, sagt Ernst Gamperl. Der andere war Florian Hufnagl, der langjährige Kurator der Neuen Sammlung in München und ein guter Freund. 1991 kaufte Hufnagl die ersten Stücke des jungen Drechslermeisters, Schalen aus Ahornholz, so hauchdünn, als umgebe sie eine eigene Aura. Dieser neue Blick aufs Holz war der Anfang eines Prozesses, in dem Gamperl das Material zunehmend aus dem »Korsett« der Rotationssymmetrie befreite. Dass das noch feuchte Holz in den Prozess einbezogen sei, inklusive seiner Verletzungen, Pilzkrankheiten und der Ungewissheit des natürlichen Veränderungsprozesses, ist der wesentliche Unterschied zu herkömmlichen Schreiner- und Drechselstücken. 

Vielleicht gibt es in Asien mehr Gespür für die natürliche Perfektion, und vielleicht passen auch manche Denkansätze besser. Das japanische Wort für Gefäß bezeichnet gleichermaßen auch die Leere und das Universum – besser kann der inhaltsvolle Hohlraum von Ernst Gamperls Gefäßen nicht benannt werden. Der völlig freie Umgang mit Holz innerhalb des selbstauferlegten Gestaltungskodex’ entspricht seinem persönlichen Freiheitsdrang, »das ist eine Charaktersache«, meint Ernst Gamperl.

Ein Jahrzehnt mit dem Lebensbaum

Dass es dem Oberbayern um die wirklich großen Dinge geht, macht eines seiner wichtigsten Projekte deutlich: der Lebensbaum. Nach einem Sturm kam Gamperl vor mehr als zehn Jahren über eine Empfehlung zu einem bei Rott am Inn umgewehten Eichenstamm von 2,50 Meter Durchmesser. Insgesamt 97 Arbeiten, keine gleicht der anderen, hat er aus dem tonnenschweren Baum gefertigt. Ein Teil floss in Finanzierungen, die verbliebenen 62 Gefäße sind der Kern einer neuen Ausstellung. Dass sie einmal einen Raum in München findet, davon träumt Ernst Gamperl.

Auch sein neuestes Projekt reicht über Lebensspannen. Für den 7. Marquess of Cholmondeley, der den Park um sein riesiges Landhaus Houghton Hall mit Landschaftskunst schmückt, fertigt Gamperl seine Kunst-Stücke aus einer 24 Tonnen schweren und inzwischen abgestorbenen Eiche. Gepflanzt hat sie der Vorfahr von David Cholmondeley, Sir Robert Walpole, vor 300 Jahren. In Ernst Gamperls Gefäßen kommen sie zurück, aufs Neue organisch.

Mehr Informationen unter ernst-gamperl.de

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