»Wir brauchen in Zukunft eine breite Palette von Baumarten«

Das Forschungsprojekt »Stadtgrün 2021« untersucht die Klimaresilienz überwiegend nicht­heimischer Baumarten und ihre Eignung als Stadtbäume. Von ihnen wird abhängen, ob Bewohner auch in Zukunft von den vielen Segnungen der Bäume als Schattenspender, CO2-Umwandler, Temperaturregler und Stimmungsaufheller profitieren. Dass das Projekt bereits 2009 begann, war kein Jahr zu spät: Seit 2015 setzt der galoppierende Klimawandel den Stadtbäumen massiv zu. Doch Ungarische Eiche, Hopfenbuche, Blumenesche und neue Ulmensorten geben Hoffnung. Die Leiterin des Projekts, Dr. Susanne Böll, im Gespräch mit Britta Mentzel.

Ausgabe 02/21

Das Thema »Ökologie, Physiologie und Biochemie pflanzlicher und tierischer Leistung unter Stress« beschäftigte Dr. Susanne Böll schon zu Studienzeiten. Seit 1998 arbeitet sie für die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. © LWG.BAYERN.DE

Wie geht es den Bäumen in deutschen Städten – haben Sie aktuelle Zahlen?

Es geht den Bäumen schlecht, ähnlich wie den Wäldern. In den Städten bilden sich an heißen Sommertagen die sogenannten UHI, urban heat islands, »Hitzeinseln«. Durch Versiegelungen und die Rückstrahlung der Gebäude liegen die Temperaturen in den Städten viel höher als im Umland. Das hat in den Jahren seit 2015 dafür gesorgt, dass weit mehr Bäume gefällt werden mussten als in früheren Jahren. In Würzburg zum Beispiel gibt es 40 000 Stadtbäume. Früher hat man im Jahr ca. 150 Bäume gefällt, 2018 waren es 240 und 2019 sogar 1470, das sind fast zehnmal so viele wie früher. In der alten Ringparkanlage vom Ende des 19. Jahrhunderts mussten 16 sehr alte Buchen entfernt werden, der Stadtwald hat 2020 über 3000 Bäume verloren, im Stadtgebiet waren es vergangenes Jahr 442 Bäume. Vor allem der Anblick des Stadtwalds ist jämmerlich. Man hat stellenweise den Eindruck, dass nicht mal mehr ein Drittel der Bäume steht, die früher da waren.

Was macht den Stadtbäumen vor allem zu schaffen?

Die Hitzesommer der vergangenen Jahre haben den Bäumen hart zugesetzt. Nach heißen und trockenen Sommern brauchen sie normalerweise zwei bis drei Jahre, um sich zu erholen. Aber wir hatten jetzt drei Extremsommer hintereinander – das scheint die neue Normalität zu sein. Dazu kamen viel zu wenige Niederschläge im Frühjahr, was für das Wachstum der Bäume besonders wichtig ist. Im Juli 2019 gab es eine Hitzephase mit Temperaturen von mehr als 40 Grad. Über dieser »Fiebergrenze« gehen die Proteine in den Blättern kaputt, das hat beispielsweise die Hainbuche massiv geschädigt. Sie hat durch Strahlungsschäden bereits im Sommer ein Drittel ihrer Blätter verloren. Ein Laubbaum braucht vier Monate, um ausreichend Fotosynthese zu betreiben und Reserven einzulagern. Wenn diese Zeit unterschritten wird, gibt es Teilkronenausfälle und nur noch winzige Zuwächse. Das führt langfristig zum Absterben. Aber es gibt noch ein weiteres Problem: Pilzerkrankungen und Schädlinge. Sie setzen auch Bäumen zu, die immer als robuste Stadtarten galten, beispielsweise der heimischen Esche.

Welche Arten trifft es besonders schwer?

Fast alle gängigen Straßenbaumarten leiden, und das sind gar nicht so viele: Winterlinden etwa, die zwar als resilient gelten, jedoch kein Salz vertragen. Oder der Bergahorn, der zusammen mit den Linden 40 Prozent der Stadtbäume in Deutschland stellt, aber den es in Würzburg schon gar nicht mehr gibt. Die Kastanie leidet an der Grundwasserabsenkung, und die Platane hält sich zwar tapfer, hat aber auch zwei Pilzerkrankungen, die ihr vor allem in heißen Sommern zu schaffen machen. In unglaublicher Geschwindigkeit werden dann die Starkäste trocken, und Sprödbrüche drohen; die Kontrollen kosten die Gartenämter derzeit viel Geld. In unserem Projekt konnten wir sehen, wie sich die Stadtbäume je nach ihrer sogenannten phänotypischen Plastizität unter drei unterschiedlichen klimatischen Bedingungen entwickelten: In Würzburg ist es heiß und trocken, in Hof/Münchberg kalt und trocken und in Kempten im Allgäu feucht und kühl. Wir haben festgestellt, dass Bäume besser mit Klimaextremen umgehen können, wenn sie daran gewöhnt sind. Das heißt, die Bäume in Hof/Münchberg haben stärker unter Sonnenbränden und Hitzeperioden gelitten als die in Würzburg. Dort haben drei Viertel der neu gepflanzten Baumarten zunächst in den Stamm und die Wurzeln investiert und dann erst in die Krone. Bäume entwickeln also Strategien, um mit den klimatischen Gegebenheiten klarzukommen. Es macht deshalb Sinn, Bäume in städtischen Baumschulen aufzupflanzen. Da stimmen dann der Untergrund und die klimatischen Verhältnisse schon, und man erzeugt keinen so starken Pflanzschock.

Bei innerstädtischen Baumaßnahmen werden immer wieder Baumwurzeln beschädigt oder gar gekappt. Gibt es Maßnahmen dagegen?

Das ist wirklich ein Trauerspiel! Es wäre wünschenswert, wenn immer eine Baubegleitplanung stattfände. In einigen großen Städten gibt es jemanden, der sich mit nichts anderem beschäftigt. Die Norm DIN 18920 regelt genau, wie man auf Baustellen mit Bäumen umzugehen hat. Bei Verstößen drohen Bußgelder. Dennoch kommt es immer wieder zu groben Unachtsamkeiten. Verdichtung etwa ist tödlich für Bäume, die jeden Tropfen Wasser brauchen. Auch die Verlegung von Kabeln stellt oft ein Problem dar. Da sind uns zum Beispiel die Schweden voraus, die die Leitungen unter dem Straßenasphalt verlegen. Es müsste einfach eine Grundakzeptanz da sein, dass Grün seinen Wert hat.

Hunde heben ihr Bein selbst an der Kaiser-Wilhelm-Allee in Köln. Wie lässt sich Hunden und ihren Besitzern der nötige Respekt beibringen?

Ganz ehrlich, da habe ich kein Rezept – Hunde lieben Bäume nun mal als ideale Punkte, um ihre Markierungen zu setzen. Stachelige Sträucher unter den Bäumen würden sicher helfen, aber dann schafft man wieder eine Konkurrenz um das wenige Wasser. Die meisten Bäume bei unserem Projekt haben wir übrigens verloren, weil Autofahrer sie zusammengefahren haben – wenigstens konnte man dann die Wurzeln untersuchen.

Welche Vorteile haben die Städter von vielen Bäumen im Stadtbild?

Bäume bringen Schatten und Kühlung und das Gefühl, in der Natur zu sein. Grün macht gute Laune – es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, dass Grün die Stimmung hebt und sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Außerdem bieten Bäume wichtige Lebensräume für Tiere.

Sie leiten das Forschungsprojekt »Stadtgrün 2021«. Was verbirgt sich dahinter?

Es handelt sich um ein Projekt des Instituts für Stadtgrün und Landschaftsbau, das bei der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau angesiedelt ist. Ich bin seit 2009 als Projektleiterin dabei. Von Anfang an war es als Klimawandelprojekt angelegt mit dem Ziel, die Klimaresilienz von Stadtbäumen zu testen. Es geht um ganz praktische Erwägungen für die Praxis – keine Baumschule möchte Bäume verkaufen, die dann nicht angehen. Den oder die Wunderbäume zu finden ist natürlich Wunschdenken. Aber: Wer genau auf die Bedingungen schaut, kann aufgrund unserer Erkenntnisse besser für seine Kommune entscheiden. Wir haben mit 20 Baumarten angefangen, später sind noch einmal neun dazugekommen, weil die Nachfrage so groß war. Fast alle 650 Bäume, die wir gepflanzt haben, stehen in Grünstreifen. Dabei haben wir festgestellt, dass sie auch längs wurzeln können, wenn die Breite des Streifens nicht reicht. Zwei Mal im Jahr untersuchen wir die Bäume und vergeben »Noten«, wie sie Frost, Trockenheit, Hitze und Stammschäden verkraften, wie vital die Kronen sind oder ob sie unter Krankheiten leiden. Jeden Herbst nehmen wir Zuwachsmessungen am Stamm und in der Krone vor.

»Stadtgrün 2021« stellt Empfehlungslisten für bestimmte Regionen auf. Für die Verhältnisse in Würzburg eignen sich beispielsweise Ungarische Eiche, Hopfenbuche und Blumenesche. Auch Ulmen sind durch Kreuzungen wieder im Kommen, etwa Ulmus Lobel oder resistente Hybridsorten aus Amerika. In Hof erweisen sich Amberbaum, Baummagnolie und Japanischer Schnurbaum als tauglich, in Kempten Schwarznuss, Ulmus Rebona und Zelkoven.

Bäume, die den Anforderungen eines Hitzesommers gewachsen sein müssen, dürfen in unseren Breiten nicht frostempfindlich sein. Welche Arten überstehen diesen Stresstest?

Baumarten aus Südosteuropa sind mit diesen Ansprüchen vertraut – andere Baumarten kommen damit nicht zurecht, etwa der Zürgelbaum, der als Ersatz für die Platane gedacht war. Die meisten Arten halten Frost aus, weil sie kontinental geprägt sind. Andererseits wissen wir nicht, wo das Klima hingeht – wenn es noch extremer wird, werden die heimischen Bäume ganz wegbrechen. Wir brauchen in Zukunft eine breite Palette von Baumarten und setzen dabei auf Risikostreuung, standortgerechte Pflanzung und Mischalleen.

Haben sich andere Städte dem Projekt angeschlossen? 

Am Anfang musste alles sehr schnell gehen. Ich habe vermutlich jede Gemeinde mit über 50 000 Einwohnern in Bayern angesprochen, ob sie dabei sein wollen. Der Aufwand und die Kosten für die beteiligten Kommunen sind natürlich nicht zu unterschätzen: Es müssen Baumgruben vorbereitet werden, der Platz muss vorhanden sein, und pro Baumgrube ist mit 1000 Euro zu rechnen. Die Kommunen bekommen von uns die wissenschaftliche Begleitung und die Versuchsbäume. Parallel zu unserem Projekt ist das »Bayerische Netzwerk Klimabäume« entstanden – dafür liefern inzwischen 40 Kommunen jedes Jahr eine vereinfachte Bewertung verschiedener Versuchsbaumarten vor Ort. Darüber hinaus ist die GALK aktiv, die Gartenamtsleiterkonferenz. Sie bewerten in ihrem Arbeitskreis »Stadtbäume« neue und alte Baumarten und Baumsorten.

In welcher Stadt gibt es besonders alte Bäume?

Das kann ich leider gar nicht so klar beantworten; aber ein paar gute Bücher befassen sich mit Stadtwäldern und -bäumen. Gerade auch für die Nachkriegsjahre ein interessantes Thema – da waren die Winter hart; danach gab es kaum noch alte Bäume in vielen Städten. Eine Ausnahme bilden alte botanische Gärten und aufgelassene Friedhöfe, beispielsweise der Südfriedhof in München. Auch Städte, in denen Schlösser stehen, haben oft einen schönen alten Baumbestand.

Beobachten Sie ein Umdenken bei den Stadtplanern und bei den Behörden?

Ja, unbedingt, das ist Gott sei Dank ganz stark zu spüren. Das liegt übrigens auch daran, dass die frühere Bundesumweltministerin Barbara Hendricks das Bauministerium mit übergenommen hatte – sie hat grün und grau zusammengedacht und mit dem Weißbuch »Grün in der Stadt« viel angeregt. Die Ministerin hat in ihrer Amtszeit von 2013 bis 18 auch durchgesetzt, dass Städtebauförderungen an Maßnahmen zur Klimaanpassung in beiden Bereichen geknüpft wurden. Inzwischen beschäftigt sich fast jede Stadt mit Klimaanpassungstrategien. In Leipzig gibt es den »Masterplan Grün 2030«. Dort ist vorgesehen, zu den jetzt bestehenden 57 000 Straßenbäumen weitere 40 000 standortgerecht anzupflanzen. Achsen- und Grünkorridore sollen die Grünflächen vernetzen. Auch viele kleinere Gemeinden sind ganz vorn mit dabei: Pfaffenhofen an der Ilm etwa ist zu zwei Drittel klimaneutral. Die haben einen Gartenamtsleiter, der bei dem klimagerechten Ausbau von Grünflächen 50 Jahre vorausdenkt.

Wie bzw. wer soll die neugepflanzten Bäume wässern?

Neben den Gartenämtern werden inzwischen auch Fremdfirmen beauftragt. Initiativen, die die Bürgerinnen und Bürger mit einbeziehen, verstärken natürlich die emotionale Bindung, aber viele sind sich gar nicht darüber im Klaren, wie viel so ein Baum braucht. In heißen Sommern sind das alle zwei Wochen 200 Liter Wasser, da kommt man mit der Gießkanne nicht weit. Zukünftig wird es wichtig sein, Rigolen und Zisternen anzulegen.

Gibt es realistische Pläne, das Regenwasser in Städten so aufzufangen, dass es den Straßenbäumen zugutekommen kann?

Da passiert im Moment viel – das ist wirklich das dringendste Thema, das wir im Moment haben.Baumrigolen, die unter den Bäumen das Wasser auffangen, können eine gute Lösung sein oder  Versickerungsmulden. Auch Pflanzenkohlen bei Substraten in Baumgruben helfen. Hier lohnt der Blick ins Ausland, etwa nach Kopenhagen. Nachdem ein schwerer Wolkenbruch die Stadt 2011 unter Wasser gesetzt hat, haben sie angefangen, sensible Bereiche zu entsiegeln, Parks anzulegen und die Dachbegrünung voranzutreiben.

Welche sinnvollen und machbaren Möglichkeiten gibt es, um Städte herunterzukühlen?

Bäume pflanzen – und Verbindungen zwischen den Grünflächen herstellen. In Frankfurt am Main gibt es das »Grüne Netz«, das die drei Grüngürtel über Grünzüge miteinander verbindet. Frankfurt ist auch die einzige Stadt, die es geschafft hat, eine sechsreihige Allee im Zentrum zu pflanzen, in der Zeil. Generell passiert gerade ein Umbruch rund um die Stadtbäume an Extremstandorten.

Bisher liefen Projekte in Würzburg, Hof/Münchberg und Kempten – ist »Stadtgrün 2021« nur eine bayerische Angelegenheit, oder gibt es auch vergleichbare Projekte in anderen Bundesländern?

Da möchte ich gern auf den Arbeitskreis »Stadtbäume« der GALK verweisen oder  auf Programme wie »Green Urban Lab«. Auch in Baumaufpflanzungen in Versuchsanstalten auf dem freien Feld wird ausprobiert, was in der Praxis funktionieren könnte. Es gibt ja ein breites Repertoire an Baumarten, die wir noch gar nicht kennen, aus Gegenden, die einen evolutionären Reichtum an Baumarten haben, der Kaukasus zum Beispiel.

Wer übernimmt die Kosten für eine Neubegrünung der Städte? 

Stadtklimabäume pflanzt mittlerweile fast jede Stadt – grün ist ein Zeichen von Lebensqualität. Ich halte jede Woche mindestens einen Vortrag zu dem Thema, das Interesse ist also da, und auch unser Projekt kennt mittlerweile fast jeder, der damit beruflich befasst ist. Die Kosten der Begrünung übernehmen die Städte, Gelder können aber auch über Städtebauförderungprogramme auf Bundes- und Kommunalebene und diverse andere Förderprogramme beantragt werden.

Wächst die Akzeptanz in der Bevölkerung, oder wird noch viel über Blütenstaub und Blätterfall geklagt?

Es gibt beides, aber eines ist sicher: Bürgerbeteiligung hat in den letzten Jahren einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Eine gute Methode, um die Akzeptanz zu erhöhen, ist die Arbeit auf Stadtteilebene, dann reden auch nur Leute mit, die wirklich betroffen sind. Ich kenne eine ehemalige Gartenamtsleiterin, die hat einen Kurs an der VHS angeboten, wo interessierte Leute teilnehmen konnten und dann gesehen haben, was möglich ist und was nicht. Sie haben dann gemeinsam einen Plan und eine Umsetzung entwickelt, mit der wirklich alle zufrieden waren. Auf einer solchen Ebene ließe sich auch Aufklärungsarbeit bei der emotional geführten Debatte betreiben, ob fremde Baumarten die einheimischen Arten verdrängen. Wir sind ohnehin dafür, dass gemischt gepflanzt wird. So wird man den Standorten, die  sich auch zwischen Stadtzentrum und Stadtrand deutlich unterscheiden, gleicherweise gerecht.

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