Neuland

… mussten im vergangenen Jahr viele betreten, aber für wenige war die Zeit so hart wie für Künstler. Nicht nur ihre wirtschaftliche Existenz stand und steht oft noch immer auf dem Spiel, der Lockdown nahm ihnen und ihrer Kunst die Luft zum Atmen. Dem Filmemacher und Schauspieler Ludo Vici ging es genauso, bis er sich auf eine alte Leidenschaft besann: die Fotografie. Sein beinahe ausschließliches Motiv ist der Wald.

Text: Britta Mentzel, Fotos: Ronald Clauss, Ausgabe 01/21

Ludo Vici findet seine Motive im Wald, oder ist es andersherum? Er gibt seinen Fotografien keine Titel, um nicht eine Bedeutung überzustülpen. © Ronald Clauss

Ein Mann steht auf einer Lichtung, dunkel gekleidet, nicht sehr groß, die Haare raspelkurz. Sonst bewegt er sich auf Bühnen, vor und hinter der Kamera, im Großstadtdschungel. Das alles wirkt weit entfernt an einem milden Dezembertag im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm. Hierhin ist der Schauspieler und Filmemacher vor wenigen Monaten in einen Ort gezogen, der so klein ist, dass er ohne Straßennamen auskommt. Die Landschaft ist grob zusammengesetzt aus Feldern, kahlen Hopfenstangen und Wald, im Sommer muss es sehr schön sein. Ein bisschen fremd wirkt Ludo Vici, der eigentlich Florian Ludowici heißt, unter den Bäumen – aber vielleicht liegt das nur daran, dass er nicht wettergegerbt, funktionsgekleidet oder tarnfarbig hier steht, sondern etwas blass in einfacher dunkler Stadtkleidung. Dabei ist dieser Wald seit einigen Monaten sein Wohnzimmer.

Hier findet er die Motive seiner Fotografie, abgebrochene Stämme und Äste, ungewöhnliche Wachstumsformen, Strukturen im Wald und an Rinden, Gesichter im Holz. Mehr als 5500 Aufnahmen sind im vergangenen Jahr so entstanden, nur rund 20 hat er ausgewählt und für die Ausstellung in der Mohr-Villa in München-Freimann auf Acryl gedruckt, bevor der zweite Lockdown kam und die Bilder ins Foyer des Max-Planck-Instituts in Martinsried wanderten.  

Die Angst vor dem dritten »Aber«

Die Pandemie hat ihn in den Wald getrieben, aus der Enge der Stadt in die Natur, die er schon als Kind mit dem Großvater durchstreifte. Immer mit dabei eine Sony Alpha 7, die spiegellose Vollformat­kamera – auch das Fotografieren war eine Wiederentdeckung, wenn auch mit anderer Heran­gehensweise. »Ich warte, bis mich etwas ruft, bis ein Impuls kommt.« Durch die Freiheit, sich treiben zu lassen, »entsteht eine Magie, die man achten muss«, sagt er.

Ludo Vici findet starke Worte, er formuliert wie gedruckt. Nicht nur die philosophischen Gedanken, auch Ideen, Pläne, die Lust zu gestalten und aktiv unter Leuten zu wirken, sprudeln nur so aus ihm heraus. Für Menschen, deren Arbeit sich nicht in ein Homeoffice sperren lässt, weil ihr Schaffen immer eine direkte Interaktion voraussetzt, waren die Lockdowns des Jahres 2020 eine mehrfache Bestrafung – beruflich, kreativ und charakterlich. Mit seinen Worten bricht im Wald noch etwas anderes aus Ludo Vici hervor: Enttäuschung über die aufgezwungene Tatenlosigkeit und eine Art hilfloser Wut, von der man spürt, dass sie vielfach sublimiert ist, weil sie sich ja gegen nichts Konkretes richten kann. »Das Schlimmste ist die Perspektivlosigkeit«, sagt Ludo Vici, »selbst wenn sich bald alles wieder öffnen sollte, die Leute sind so starr und wie zurückgeworfen.« Wohin mit der Energie, wenn man 1000 Ideen hat, doch immer nur »gegen das dritte Aber läuft«? Bei aller unterdrückter Wut und Verzweiflung klingt Verletzlichkeit durch und die Fähigkeit, poetische Bilder zu finden – egal in welchem Medium, auf der Bühne, in den Fotografien oder im Wort. »Dort sieht es aus, als sei der Mond auf die Erde gefallen«, sagt der TV-Schauspieler, der gern als Bösewicht besetzt wurde, wenn er über die waldlose Insel Fuerteventura spricht und ihren fotografischen Reiz.

Wald statt Weltherrschaft

Künstler, die von der Begegnung und dem Austausch leben, haben es schwer, wenn sie sich mit Ämtern, Vorschriften und Gesprächspartnern hinter Bildschirmen auseinandersetzen müssen. Als seien die Menschen in einen Tunnel getrieben worden, empfindet Ludo Vici die medizinisch-politisch verordnete Distanz. Vielleicht hat ihn auch die Verzweiflung über die Gleichgültigkeit der Masse, die sich ins Häusliche verkapselt, in den Wald getrieben. Dort hört er »das Echo der Vereinzelung« nicht mehr und muss den Mangel an Empathie nicht länger schmerzhaft spüren, sondern kann die Perspektive wechseln. In jeder Hinsicht: Der Schauspieler wird zum Schauenden, der immergleiche Tatort bleibt der Wald, statt schneller Szenenabfolgen herrscht hier unmerklicher Wandel, der aber nie Stillstand ist. »Stirb und werde – dieses Prinzip ist im Wald an einem Ort versammelt«, sagt Ludo Vici, »und es vollzieht sich so langsam, dass man die Chance hat, es zu betrachten.« Darum geht es dem Schauspieler, der unter anderem am Münchner Teamtheater als Darsteller und als Kabarettist im »Salon zur kleinen Weltherrschaft« auftrat – um Betrachtung. »Dieser Zustand hat weder mit streng naturwissenschaftlicher Sicht zu tun noch mit unreflektierter Romantik«, sagt er. 

Gleichzeitig weiß Ludo Vici, dass er auch Glück hat. Über den Jahreswechsel tüftelte er am Drehbuch zu einer Serie, die in der Münchner Musikszene der 1970er-Jahre spielt, Arbeitstitel »Munich Soul«. Er lebt zusammen mit einer Partnerin, der als Psychotherapeutin 2020 die Fälle nicht ausgingen, geborgen und friedlich in dem Dorf Gambach. Die kleine Mietwohnung in München-Giesing hat er dennoch behalten, als Ankerpunkt in der Stadt. Denn er hofft natürlich darauf, bald wieder tun zu dürfen, was bei ihm schon im Namen steckt: das lateinische ludo heißt »ich spiele«.

 

Mehr Informationen zu Ludo Vicis fotografischer Arbeit und seiner Weiterentwicklung seit 2021 unter photogenicbreath.com

Sie wollen mehr lesen und Ausgabe 01/2021 als gedrucktes Exemplar erwerben?
Hier geht es zu unserem Online-Shop.