Der Atelierbesuch hat länger gedauert als gedacht, Kopf und Herz stecken voller Eindrücke, Gesprächsfetzen und Reflexionen. Auf dem Weg zurück zur Bahnstation öffnet sich auf einmal ein Wald-Ausschnitt, den man zu kennen glaubt – hat nicht genau diese Stelle Gisela Krohn als Vorbild gedient? Nur dass hier hoch über Tutzing die Bäume nicht hellgrün, rosa und enzianblau leuchten wie auf den Bildern im Atelier, sondern sich brav in Braun und gedecktes Grün kleiden, besprenkelt von Sonnenlicht. Das Waldstück ist erkennbar das Gleiche und doch ein ganz anderes als auf der Leinwand – und das liegt nicht nur an der ungewöhnlichen Farbgebung. Gisela Krohns gemalte Bäume sind eher Meditationen über ein Motiv als seine Wiedergabe und dennoch erkennbar Natur. Sie sind Porträts im eigentlichen Sinn, die viel mehr sichtbar machen als das Offensichtliche, sei es beim Waldstück an der Straße, sei es bei der 200-jährigen Buche, die einen halben Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt nahe des Deixlfurter Sees steht.
Anker im Waldboden
Eine schönere Schaffensatmosphäre ist kaum denkbar als in Krohns Atelier im ehemaligen Stall des Gutshofs Deixlfurt. Durch breite Sprossenfenster fällt Licht in den geweißelten Raum. Neben dem Bild, an dem sie derzeit arbeitet, bilden auf einem Rolltisch ausgedrückte Farben ein bergiges Relief, darunter türmen sich die Tuben. Hund Taff lümmelt auf dem Biedermeiersofa. Gisela Krohn füllt den ganzen Raum mit ihrer Lebendigkeit, serviert Kaffee und Croissants und gibt sich vollkommen unprätentiös.
Die Verwurzelung im Wald erde sie, sagt Gisela Krohn, sie sei ein »ätherischer Charakter«. Und vielleicht ist es genau diese Verbindung zwischen Gedankenwolken und Waldboden, die eine Qualität ihrer meist großformatigen Bilder ausmacht, vom technischen Können einmal ganz abgesehen. »Ich versuche Zeit, Erlebnis und Räumlichkeit des Waldes darzustellen«, erklärt sie, »und die besondere Stimmung einzufangen.« Mit dem Foto, das der Künstlerin als Anhaltspunkt dient, hat das spätere Ölgemälde nur noch ungefähr zu tun – »ich erfinde das Bild sowieso neu«, sagt sie. Oft habe sie eine ganze Serie im Kopf, beispielsweise von Alleen, die sie im Umkreis ihres langjährigen Wohnorts Berlin abgeklappert hat, oder das
»Dickicht«. In diesem Zyklus zeigen sich die »Wildnisverflechtungen«, die Grenzen zwischen Gesehenem und Erfundenem verwischen. Viele Bilder wirken wie Momentaufnahmen aus hoher Geschwindigkeit: Der Mensch fliegt vorbei, doch der Wald bleibt.
In echter Sorge
Gisela Krohns Bilder sind voller Schönheit, doch von Romantik ist keine Spur. Eher zitieren sie Romantik, meint die gebürtige Kölnerin, die Bedrohung der Natur schwinge immer mit. Die Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt bereiten Krohn tiefe
Sorge, die Verantwortungslosigkeit und Doppelmoral der
Gesellschaft machen sie traurig und wütend. »Ich verstehe diese Ausschaltmentalität nicht«, sagt sie. »Wenn wir aus der Natur, einem stimmigen System, Teile herausnehmen, passiert etwas, das wir nicht steuern können.« Ihr gefällt der Gedanke zu teilen, etwa mit den Tieren: »Wir nehmen ihnen den Lebensraum, dafür sollten sie teilhaben an dem, was wir erwirtschaften. Das wäre gerecht. Stattdessen verhalten wir uns wie die größten Verbrecher.«
Ihre persönliche Konsequenz war, der Stadt den Rücken zu kehren und eine engere Verbindung zur Natur aufzunehmen – gelandet ist sie eher zufällig oberhalb des Starnberger Sees, wo sie jederzeit mit Taff losziehen kann und nach wenigen Schritten in der lieblichsten Landschaft steht. Mehrere Teiche, seit Generationen als Fischweiher genutzt, schlummern im Deixlfurter Wald, einige übersät mit Seerosen. Sie inspirieren Gisela Krohn zu ihrem anderen Leitthema: dem Wasser. Sie malt Pflanzen, die sich in der Strömung wiegen, Pfützen, in die der Regen tropft, die tosende Gewalt der Victoria-Fälle. Die Landschaft in Sambia, wo Krohn auf Einladung einer Kunstsammlerin leben und arbeiten konnte, beschreibt sie als einen der Orte, der sie am stärksten beeindruckt hat in ihrem Leben. Der andere findet sich in der kanadischen Provinz Québec. Dorthin folgte sie in den 1990er-Jahren ihrem damaligen Freund und verbrachte viele Monate in der Wildnis, oft allein. »Das hat die Basis gelegt zu allem, was ich jetzt mache«, sagt sie. Dem dort gefundenen Sujet, der Natur, ist die Künstlerin über die Jahrezehnte treu geblieben. »Während meines Studiums in Frankreich hat kaum jemand gemalt«, erzählt sie, »und schon gar nicht Landschaft; Städte, Reduzierung und Abstraktion hießen die Themen.« Gisela Krohn aber blieb bei den Bäumen, schulte ihr Auge an der Natur und scheute nicht vor großen Leinwänden zurück; ein Nachhall ihrer Ausbildung zur Theatermalerin an der Deutschen Oper in Berlin. Heute gelten ihr Einzelausstellungen in Galerien, und ihre Gemälde erzielen hohe Preise auf dem Kunstmarkt.
Der Natur eine Stimme geben
Das dritte wichtige Thema ihrer Kunst und das aktuell beherrschende ist der Verlust von Natur, erzählt am Beispiel des Wolfs. »Wald. Wolf. Wildnis« heißt eine Ausstellung, die sie begründet hat und auch kuratiert. Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll die Ausstellung durch Mitteleuropa ziehen – fast so wie die vagabundierenden Wolfsrudel, die in alte Lebensräume zurückwandern. Wie sie auf den Wolf gekommen ist? Auslöser war der Ausbruch einiger Tiere aus einem Gehege im Nationalpark Bayerischer Wald vor einigen Jahren und wie sich im anschließenden Bedenkengewitter die Urangst vorm wilden Tier Bahn brach. »Die Beutegreifer kommen wieder, das ist ein interessantes Phänomen«, sagt sie. Ihnen wolle sie eine Stimme geben und sie als »Augenöffner« unser Verhältnis zur Natur und zur Wildnis in uns hinterfragen lassen. Als Vorbilder wählt Gisela Krohn u.a. die Fotos von Wildkameras, die die Tiere vollkommen ungestört zeigen – ein Inbegriff des Urvertrauens in die Natur.
Mehr Informationen unter https://giselakrohn.de und www.waldwolfwildnis.de
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