Alles ist grün. Das Spree-Fließ, in dem sich Bäume und Unterholz in allen Nuancen zwischen Licht-, Gold- und Amazonasgrün spiegeln, seine Ufer, wo sich links und rechts das Dickicht breitet, und selbst der Himmel ist grün von den Baumkronen der hohen Buchen, Birken und Eschen, von Eichen, Akazien und Erlen, die sich über das Fließ hinweg die Äste reichen. Aus der Luft muss es aussehen wie ein grüne Insel im staubtrockenen Land-Meer von Brandenburg.
Ein schmaler Wanderweg windet sich am Fließ entlang vom Kleinen Hafen in Lübbenau durchs Biosphärenreservat zur Ausflugsgaststätte Wotschofska. Das klingt russisch, ist aber sorbisch – die Sprache der anerkannten Minderheit, der der Normalbesucher nur auf Folklorefesten zu Ostern begegnet und beim Lesen der Straßenschilder, die aus dem Ort Burg Bórkowy machen und aus Schlepzig Słopišća. Wotscho, die Insel, auf der heute unter hohen Bäumen arglos plaudernde Tagesgäste sitzen, diente seit ihrer Eröffnung 1894 als Zufluchtstätte in Notzeiten. Die ersten 20 Jahre war die Erleninsel nur übers Wasser zu erreichen. Wenn heute noch der Fluchtgedanke eine Rolle spielt, dann allein deshalb, weil sich die Besucherströme gar zu breit durch Lübbenau wälzen. Noch vor knapp 80 Jahren gab es ernstere Anlässe. Wilhelm Friedrich Rochus Graf von Lynar, der als Major der Reserve am Hitler-Attentat des 20. Juli 1944 beteiligt war, wuchs im Schloss Lübbenau auf. Ob er an die verborgene Wotschofska denken musste, als er am Folgetag des missglückten Anschlags auf Schloss Seese verhaftet wurde? Dort lebten die Lynars seit 1930, weil der Betrieb des großen Schlosses in Lübbenau zu kostspielig geworden war.
Diese Zeit und auch die einheitsgraue DDR sind lang vorbei in Lübbenau, die meisten Häuser stehen restauriert und frisch gestrichen an neugepflasterten Straßen, im Schloss sind ein Hotel und Restaurant untergebracht. Im Ort gibt es Eisdielen, Gurkenverkaufsstände und den Sagenbrunnen von Volker Michael Roth, in dem sich das örtliche Märchenpersonal tummelt: der Wassermann, die Lutki, Irrlicht und Schlangenkönig. Letzterem begegnet man überall, an Dachgiebeln, Bushäuschen und auf Speisekarten. Die Schlange hat im Spreewald einen guten Ruf – sie warnte einst die Einwohner vor Hochwasser. Seit die Staustufen den Spreelauf regulieren, gehören Überschwemmungen jedoch der Vergangenheit an; der Schlangenkönig kann sich als Glücksbringer auf andere Dinge konzentrieren.
(Zumeist) stille Kanäle
Die eleganteste Möglichkeit, ins Grün zu tauchen, verschaffen Paddelboot- oder Kahnfahrten auf den Fließen. Die flachen, kiellosen Kähne, mit den sogenannten Rudeln, den bis zu vier Meter langen Stangen, gestakt, gleiten leise übers Wasser – je nach Gesprächigkeit der Fährleute. Manche der Schiffer in weißen Hemden und grünen Westen erzählen vom Leben am und mit dem Wasser, von den 48 Fischarten zwischen Aal und Zander und wo man sie am besten zubereitet. Andere geben dem Ungewöhnlichen Raum zum Wirken, denn nirgends sonst in Deutschland gehen Wasser und Vegetation eine so innige Verbindung ein wie im Urstromdelta der Spree, entstanden während der letzten Eiszeit. Den besten Eindruck von der Traditionstiefe des Spreewalds vermittelt wohl das Museumsdorf Lehde. Es liegt so schlecht erreichbar, dass 65 Haushalte hier die Post von Frühling bis in den Herbst hinein per Kahn erhalten.
Privater als im Kahn erleben Paddler den Wasserwald. Dank der minimalen Strömung kommen auch Anfänger gut zurecht, zudem liegen keine Steine in den flachen, sandig-schlammigen Fließen im Weg, höchstens die ein oder andere Schleuse, die schon größere Kinder leicht bedienen können – und das meist auch tun, zur Freude älterer Bootfahrer, die den Ausstieg aus den kippeligen Kajaks fürchten. Wenn sich jenseits der Häfen das Feld der Paddler etwas gelichtet hat, wenn die Ufer langsam vorbeiziehen, die Sonne durchs Laub bricht und die Libellen das Boot umtanzen, wirkt die Szenerie fast zu grün-golden, um wahr zu sein.
Vom Gewinn, sich zu verirren
Der Sommer ist die wohl schönste Spreewald-Jahreszeit, es sei denn, die Temperaturen fallen im Winter lange genug so weit unter den Gefrierpunkt, dass die Fließe zufrieren. Dann schnüren Schlittschuhläufer übers Eis, und der Spreewald hat einen ganz anderen Zauber in Weiß, Grau und Schwarz. Im Sommer aber, von dem seit 2015 und 2018 ff. jeder weiß, wie schwer Hitze lasten kann, verschafft er als natürliche Klimaanlage den rund 50 000 Einwohnern seiner Gemeinden und den zahlreichen Gästen Abkühlung. Wer erst mit dem Rad übers freie Feld gefahren ist und dann in den Baumschatten in Fließnähe taucht, traut kaum seiner Haut – sieben, acht Grad kühler ist hier die Luft, und der Atem geht ganz frei. Stadtbegrüner sollten vom Spreewald lernen.
Eine der beliebtesten Radstrecken durchs Gebiet ist der Gurkenradweg. Der Rundkurs verbindet auf 260 Kilometern Länge Cottbus im Süden mit Alt-Schadow im Norden und macht dabei vier größere Schleifen, unter anderem auch um Burg, die größte Streusiedlung Deutschlands. Über 35 Quadratkilometer erstrecken sich die Ortsteile bzw. Häuser und Gehöfte. Bis man hier als Radfahrerin oder Spaziergänger klarkommt, dauert es ein wenig, andererseits ist jedes Verirren ein Gewinn. Wäre man sonst je zur verträumten Straße am Fischerfließ gelangt oder zur Töpferei von Elke Piezonka?
Zur Qualität eines Spreewald-Urlaubs gehören auch die Badeseen ringsum: Schwielochsee, Briesener und Byhleguhrer See, der so seicht von der Strandwiese aus abfällt, dass er als Nichtschwimmersee durchgeht. Und rings um seine Ufer, man ahnt es: nichts als grün.
Informationen
spreewald.de
Gurkenradweg
Wotschofska
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