Geprüft auf Bast und Borke

Baumkontrolleure schauen genau: Wie ist es um die Bruch- und Standsicherheit von Bäumen bestellt? Genügen sie in Gemeinden und Privatgärten den Anforderungen der deutschen Gesetzgebung? Ein Thema, das auf vielen Ebenen nicht ernst genug genommen wird. Wir haben der Baumprüferin Daniela Antoni bei ihrer Arbeit über die Schulter gesehen.

Text: Britta Mentzel, Fotos: Ronald Clauss, Ausgabe 04/20

Sorgfältig wie eine Ärztin schaut Daniela Antoni nach Symptomen am Baum und trägt ihre Beobachtungen in ein Protokoll ein – welche Vitalität zeigen die Buchen? Sind sie noch bruchsicher und standfest? © Ronald Clauss

Ein Privatgarten im nördlichen Oberbayern, darin zwei Rotbuchen, etwa 20 Meter hoch und rund 100 Jahre alt. Sie stehen heute mitten im Wohngebiet, weil sich hier früher ein Forst erstreckte; und während ringsum die Einfamilienhäuser wuchsen, blieb das Grundstück lange unverkauft. Vielleicht wegen der Bäume. »Die gehören in den Wald«, sagten die Alteingesessenen und boten ihre Hilfe beim Fällen an, als sich schließlich doch Käufer fanden. Doch die junge Familie überlegte es sich anders. Die Rotbuchen sollten bleiben, ein Gutachter kam, attestierte ihnen Verkehrssicherheit und empfahl Kronensicherungen.

Seitdem sind mehr als 13 Jahre vergangen. Die nicht mehr ganz so junge Familie liebt ihre Bäume weiter innig, die Nachbarn haben sich mit dem Blatt- und Schattenwurf arrangiert, und die stolzen Buchen lassen immer wieder Spaziergänger innehalten. Doch die alten Riesen scheinen krank. Es zeigen sich nässende Flecken auf der Rinde, die Borke platzt ab, die Krone wirkt schütterer als vor Jahren. Stehen die Bäume immer noch sicher? Oder zwingt sie eine Krankheit langsam in die Knie?

Patient Baum

Um Klarheit zu erlangen, bittet die Familie Daniela Antoni um ihre Einschätzung. Die Baumkontrolleurin gehört zu den Expertinnen im Bundesgebiet, und sie ist eine der wenigen weiblichen Unternehmerinnen in der Branche. 

Sie beginnt ihre Arbeit in aller Ruhe. Nur ein Maßband, ein Höhenmessgerät und einen Schonhammer nimmt sie mit; der Resistograph liegt im Auto und wird dort auch bleiben. So schlecht geht es den Buchen nicht, als dass man seine dünne Nadel in ihre Stämme einführen müsste, die über Sensoren den Verlust der Widerstandsfähigkeit wegen einer Fäule oder wegen Pilzbefalls anzeigt, das sieht Daniela Antoni gleich. Sie schaut an Stamm und Krone, betastet die nässenden Stellen, schlägt sanft mit dem Schonhammer an die Rinde, kniet sich hin, fotografiert. Nach einer guten Viertelstunde steht ihre Diagnose fest: »Die Rotbuchen leiden an der Buchenkomplexkrankheit, es wirken mehrere schädliche Einflüsse auf ihren Organismus. Aber: Beide Buchen entwickeln bereits Heilungsstrategien.« Über der abgeplatzten Rinde bildet sich ein Kallus, der Baum überwallt diese Stellen, und die Vitalität der üppig grünen Riesen ist insgesamt gut. 

»Buchen sind Meister der Abschottung«, sagt Daniela Antoni, »und es finden sich hier keine Anzeichen des Brandkrustenpilzes.« Auch nicht von Lackporling und Riesenporling – um sicherzugehen, fragt sie die Gartenbesitzer, ob sie den auffälligen Pilz gesichtet haben. Die schwarzen Leckstellen an der Rinde deuten darauf hin, dass es eine Verletzung im Wurzelbereich gab, möglicherweise durch Bodenverdichtung während des Hausbaus. Was dort unter der Erde vor sich geht, ist bislang kaum untersucht, ein weites Forschungsgebiet der Arboristik, meint die Fachfrau. Die meisten Bäume reagieren sehr empfindlich im Wurzelbereich, der sich meist über die Kronentraufe hinaus erstreckt. Auch die Trockenheit der Jahre 2018 und 2019 fließt in die Komplexkrankheit ein. Insgesamt aber halten sich die alten Rotbuchen wacker: Daniela Antoni attestiert ihnen Bruch- und Standsicherheit und empfiehlt eine nächste Begutachtung in drei Jahren. Die Gartenbesitzer atmen auf.

Die Frage der Kompetenz

Daniela Antoni war nicht die erste Prüferin, die die Rotbuchen in Augenschein nahm – aber ihre Vorgänger strahlten vergleichsweise wenig Kompetenz aus und ließen ein Gefühl der Unsicherheit zurück, berichtet die Familie. Woran liegt das? Daniela Antoni seufzt: »Es gibt nicht den typischen Baum, aber die typischen Experten«. Die Berufsbezeichnung sei nicht geschützt, und viele Baumkontrolleure speisten ihr Wissen aus vergleichsweise kurzen Lehrgängen. Nicht selten fließen wirtschaftliche Interessen oder überbesorgtes Sicherheitsdenken in ein Gutachten ein, etwa wenn ein kostspie­liger Kronenschnitt empfohlen wird.

Antoni selbst hat Forstwissenschaft und Waldökologie studiert und anschließend ein Training zur Baumkontrolleurin durchlaufen. Sie spezialisierte sich zur Stand- und Bruchsicherheitsprüferin bei einem renommierten Sachverständigenbüro und arbeitete dort fünf Jahre. »Das erste halbe Jahr bin ich nur bei einem versierten Kollegen mitgelaufen«, erzählt sie. Das Studium allein hätte ihr das nötige Wissen nicht vermittelt, das hat erst die Praxis geschafft.

Rechtslage mit Lücken

Die großen Qualitätsunterschiede bei den Baumsachverständigen schaden vor allem den Patienten: den meist alten Eichen, Buchen, Linden, Ulmen und Eschen – in Gärten, aber auch im öffentlichen Raum. Nach Antonis Erfahrung werden oft vorschnell Bäume gefällt, entweder weil man sich unsicher über den Gesundheitszustand ist oder weil die Auftraggeber die Kosten von rund 200 Euro für ein Gutachten scheuen. Dabei sind Gartenbesitzer gesetzlich verpflichtet, die Verkehrssicherheit ihrer Bäume überprüfen zu lassen. Andernfalls gibt es im Fall von Bruch- und Sturmschäden oft Schwierigkeiten mit der Versicherung oder vor Gericht. »Kaum ein Bürger weiß das,« meint Daniela Antoni. Das Gesetz schreibt sogar die Prüfung durch einen kompetenten Kontrolleur vor, ohne den Verbrauchern eine einfach ablesbare Zertifizierung an die Hand zu geben. Schätzungsweise diagnostiziert bundesweit eine gute Handvoll ausgewiesener Sachverständigenbüros nach den neusten Forschungsständen. 

Daniela Antoni baut ihr eigenes Unternehmen seit einem Jahr auf (www.baumkontrolle-im-netz.de) und setzt dabei auch speziell ausgebildete Pathogenspürhunde ein, die Baumpilze erschnüffeln können. Insgesamt empfindet sie es als Vorteil, dass sie nur die Diagnose stellt, nicht aber baumpflegerische Maßnahmen anbietet – das verhindert auch Interessenkonflikte und wirkt so, wie es sich jeder verantwortungsbewusste Baumliebhaber wünscht: im Sinne der alten Riesen.

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