»Der Wert und die Wirksamkeit von Wäldern kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.«

14 Fragen an Sabine Krömer-Butz, Pressereferentin bei der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW)

Interview: Britta Mentzel, Ausgabe 01/20

© Tanja Clauss

Zurzeit liegt der globale Wald-Anteil bei etwa 33 % – wie hoch wird er im Jahr 2100 sein?

Sabine Krömer-Butz: Das ist eine Frage, die wohl kaum jemand beantworten kann. Es gibt viele Szenarien von Wissenschaftlern und Forschungsgemeinschaften, die mit so vielen Unbekannten rechnen, dass es schwer ist, weit in die Zukunft zu blicken. Der Fortgang hängt ja nicht nur von den klimatischen Bedingungen ab, die sehr schwer vorhersagbar sind, sondern auch davon, wie die Menschheit zukünftig wirtschaften wird.

Wie werden sich die Wälder weltweit durch die Erderhitzung verändern?

Noch wissen die Waldexperten nicht einmal, wie es hier in Deutschland aussehen wird – geschweige denn, in welche Richtung wir global steuern. Selbst Experten aus der Forstwirtschaft können kaum eine klare Aussage treffen, weil die Entwicklung von vielen, kaum kalkulierbaren Faktoren beeinflusst wird. Die Baumartenzusammensetzung und die Waldgrenzen werden sich sicher ändern, weil manche Baumsorten an ihren Standorten den höheren Temperaturen und einer größeren Trockenheit zum Opfer fallen werden. Sicher ist: Wenn es noch trockner wird, fällt nicht nur die Fichte aus, sondern auch der Bestand der Laubbäume ist gefährdet.

Ihre Prognose für den deutschen Wald?

Wenn man für den deutschen Wald die Prognose wagt, dann werden sich extreme Ereignisse häufen – Sturm, Starkregen, Dürre und der Borkenkäferbefall haben die Natur seit Ende 2017 in einen Dauerstress versetzt. Über 90 % der Flächen in Deutschland haben sowohl 2018 als auch im Sommer 2019 unter der großen Trockenheit gelitten. Viele Förster wissen gar nicht mehr, was sie anpflanzen sollen – Sprösslinge sind sofort vertrocknet, und auch zahlreiche alte Bäume haben nicht überlebt. Dazu kamen die Waldbrände. Ich war vergangenen Sommer mit einem Förster im Wald, da haben wir die Nadeln fallen hören. So etwas habe er in 40 Jahren noch nie erlebt, meinte der Waldhüter.

In Deutschland stehen etwa 1000 Bäume pro Einwohner – so viele, wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Kann es bei diesem Trend zur Bewaldung und Aufforstung bleiben?

Jahrelang ging es mit der Waldfläche leicht nach oben, das ist richtig. Aber seit Ende 2017 haben wir 180 000 Hektar verloren, das ist sehr viel. Es braucht Zeit, Personal und Geld, um diese Lücken wieder zu schließen. Manche befürchten, dass es mindestens eine Generation dauern wird, bis man die Verluste kompensiert hat. 

Weltweit verringert sich der Waldanteil, vor allem durch das Vordringen der Landwirtschaft. Wie lassen sich beide Interessen in Einklang bringen?

Das ist ein Problem der widerstreitenden Interessen: Auf der einen Seite stehen die Menschen, die neue Flächen brauchen. Und andererseits wird auf Soja- und Palmölplantagen unsere Bequemlichkeit bedient. Dadurch verschwinden die tropischen Wälder in enormer Geschwindigkeit. Bisweilen sind auch die politischen Weichenstellungen ungünstig: Brasiliens neuer Präsident etwa möchte den wirtschaftlichen Interessen alle anderen Aspekte unterordnen. Die Bevölkerung wächst vor allem in Asien stark – auch das erfordert Flächen.

In Deutschland dagegen gibt es da kaum Konkurrenzen. Sind Flächen als Waldfläche definiert, dürfen sie nicht mehr umgewandelt werden. Ausnahmen bilden zum Beispiel die Kurzumtriebsplantagen mit Pappeln und anderen schnellwachsenden Baumarten, die weiterhin als landwirtschaftliche Flächen gelten und wieder abgeholzt werden können.

Am erdzeitlichen Übergang von Perm zu Trias, als sich die Erde um 5 °C erwärmte, starben 90 % aller Arten im Meer und 70 % der Arten auf dem Land. Könnte die aktuelle Klimaveränderung ähnliche Folgen haben?

Soweit man es derzeit nachvollziehen kann, gab es in der Erdgeschichte bereits fünfmal ein großes Artensterben, bedingt durch Meteoriteneinschläge, Eiszeiten und Vulkanausbrüche. Der Unterschied: Noch nie war der Mensch verantwortlich. Das ist heute anders. Zweifellos erleben wir ein massives Artensterben bedingt durch die flächenhafte und intensive Veränderung unserer Natur zu Land und zu Wasser.

Jahrelang galt die Zwei-Grad-Grenze als »Umschlagpunkt«, hinter dem die Entwicklungen unumkehrbar verlaufen. Jetzt haben wir die Ein-Grad-Grenze überschritten, und die Folgen sind bereits furchtbar … Haben wir den tipping point schon erreicht?

Auf der Pariser Klimakonferenz haben die unterzeichnenden Staaten 2015 beschlossen, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Wenn dies gelingt, bewegen wir uns weiter nahe den uns bekannten Klimaverhältnissen. Darüber aber betreten wir eine Klimawelt, die wir nicht kennen. Um das Pariser Ziel zu erreichen, muss der CO2-Ausstoß um 45 % im Vergleich zu 2010 reduziert werden. Im Jahr 2050 müsste der Wert bei null liegen – da muss man schon sehr optimistisch sein, um zu glauben, dass wir das noch hinbekommen. Hier wäre ein konzertiertes Vorgehen wichtig, doch leider läuft im Moment politisch gar nichts zusammen.

Was wären die wirksamsten Mittel, die Erderhitzung zu stoppen?

Am effektivsten wäre es, wenn wir eine echte Energiewende schaffen würden – die erneuerbaren Energien weiter stärken, den Öffentlichen Personen-Nahverkehr ausbauen, Gebäude dämmen, die Techniken bei der Stromerzeugung voranbringen. Die Bepreisung des CO2 kann eine wirkungsvolle Maßnahme sein, aber sie muss natürlich sozialverträglich ausfallen. Alles, was Kohlendioxid ausstößt, sollte mit Abgaben belegt werden.

Welche Rolle kann das Pflanzen von Bäumen spielen?

Wälder sind auf jeden Fall gleich zweifach wirksam: Sie wandeln CO2 in Sauerstoff um, und sie sind für das Großklima verantwortlich. Der Wasserkreislauf hängt entscheidend von den Wäldern ab – beispielsweise fungiert der Amazonas-Regenwald als großer Wasserspeicher. Niemand weiß, was passiert, wenn er diese Funktion nicht mehr wahrnehmen kann.Doch auch regional zeigt das Pflanzen von Bäumen Wirkung. In Städten mit viel Grün liegen die Temperaturen oft niedriger als in klimatisch vergleichbaren Städten ohne Parks und Bäume. Auch die Verringerung der Feinstaubbelastung durch Bäume ist inzwischen erwiesen.

Welche Direktiven sollte die Politik vorgeben?

Unser Verband fordert die Weiterentwicklung der Energiewende – das ist wirklich zentral. Sowohl beim Erneuerbare-Energien-Gesetz als auch bei der Frage nach dem Stromtransport von Nord nach Süd sollte es schneller vorangehen. Leider stagniert auch die deutsche Automobilwirtschaft; selbst Länder wie China sind da weiter. Die Politik sollte die Wirtschaft stärker regulieren und bei Fehlentwicklungen eingreifen – die Industrie muss sich ebenfalls bewegen. Es kann nicht sein, dass wir die Probleme auslagern und beispielsweise durch unseren Konsum die Umweltbedingungen in anderen Ländern verschlechtern, Stichwort Müll und »virtuelles Wasser«.

Was können wir tun?

Wenn jeder bei sich selbst ansetzen und öfter an seinen ökologischen Fußabdruck denken würde, könnten wir schon viel bewegen. Dazu gehört die Planung von Urlaubsreisen genauso wie die Reduzierung des Fleischverbrauchs – vor allem von Rindfleisch –, der für einen Großteil der weltweiten Soja-Produktion verantwortlich ist. Regional und saisonal einzukaufen ist im gleichen Maß wertvoll wie auf Kleidung zu verzichten, die in Fernost unter schlechten Arbeitsbedingungen gefertigt wird. 

Welchen Wert haben die Wälder im Kampf gegen den Klimawandel?

Die Wälder stabilisieren das Weltklima und das Klima vor Ort, sie produzieren Sauerstoff, mildern die Klimaextreme und säubern die Luft – der Wert und die Wirksamkeit von Wäldern kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Was halten Sie von Initiativen wie »Plant-for-the-Planet«?

Als Gesellschaft können wir nur jeden, der sich engagiert, unterstützen – ob als Privatperson oder in einer Initiative. Generell gibt es viel zu wenige umweltbewusste Menschen, und es bestehen immer noch große Wissenslücken. Initiativen wie »Plant-for-the-Planet« sind natürlich sehr wertvoll. Auch die Bewegung »Fridays for Future« macht Mut, weil jetzt eine Generation heranwächst, die sich ernsthaft mit globalen Themen beschäftigt und sich aktiv in die Weltpolitik einmischen möchte. Dadurch entsteht Druck von einer anderen Seite. – Man kann nur hoffen, dass die Politik darauf reagiert und dass die Bewegung viele Gleichaltrige mitnimmt. 

Wir beschäftigen uns intensiv mit Waldpädagogik. Neulich gab es eine Umfrage zum Freizeitverhalten der Acht- bis Zehnjährigen. Ein großer Teil der Kinder, die in Städten leben, war noch nie im Wald. Die Entfremdung von der Natur ist ein Trend, den wir als Gesellschaft unbedingt stoppen sollten.

Welchen Wert hat der Wald für Sie persönlich?

Ich gehöre noch zu einer Generation, die im Wald gespielt hat. Für mich ist der Wald bis heute ein Erholungsort, in dem ich mich entspanne und neue Kraft schöpfe.

Studien aus Japan belegen die positiven Auswirkungen des Waldes auf unser Wohlbefinden und unsere Immunabwehr. Deshalb werden Spaziergänge im Wald immer öfter in Gesundheitsstrategien integriert – vielleicht gehen manche Menschen ja auf diese Weise wieder in die Natur.

© Sabine Krömer-Butz

Sabine Krömer-Butz sorgt sich von Berufs wegen, aber auch privat um den Wald: An einem heißen Sommertag hörte sie dort die Fichtennadeln fallen.

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