Beauty of a day

Der Land-Art-Künstler Jan Langer sucht die Einsamkeit der Natur und gestaltet sie zu Kunst – dass seine Werke nur im Moment ihrer Vollendung existieren, ist Teil des Konzepts. Nachdem der Südtiroler seine oft geheimnisvollen Objekte fotografiert hat, überlässt er sie dem Wind, dem Wetter und der Zeit.

Text: Britta Mentzel, Fotos: Jan Langer, Ausgabe 02/20

© Jan Langer

Am Anfang steht die Schönheit der Natur. Die Fotografien zeigen einen See mit spiegelglatter Oberfläche, ein Birkenwäldchen im Sonnenlicht oder orangerote Vogelbeeren im ersten Schnee. Manchmal erkennt man erst beim zweiten Hinsehen, dass ein wundersames Muster in einem gefrierenden Bergsee liegt, dass sich eine schneebedeckte Lehmkugel im Wasser zu einem Kreis spiegelt oder dass ein Flechtmuster die Baumrinde schmückt. Auf anderen Bildern werden die eingefügten Formen oder gelegten Spuren gleich offenbar in ihrer grafischen Perfektion und sorgsamen Ausführung. Dennoch wirkt die Natur fast unberührt, nichts Fremdes ist ihr hinzugefügt.

Lebendige Vergänglichkeit

Land Art besteht als Kunstform seit den 1960er-Jahren, das Spektrum der Eingriffe in die Landschaft ist weit: Mal sind die Veränderungen gewaltig, mal fallen sie minimal aus. Viele Künstler fremdelten mit dem Begriff, Jan Langer verwendet ihn mit Stolz.

Sein Vorgehen ist denkbar schonend: Der 45-jährige Südtiroler arbeitet mit den »Materialien«, die er in der Natur vorfindet und »verdichtet ihre Informationen«, so beschreibt es Langer selbst. Am Anfang steht die Wahrnehmung für die besondere Beschaffenheit des Ortes und seine genaue Erkundung – umhergehen, hinsetzen, auf sich wirken lassen. Jeder Platz ist das Ergebnis eigener Bedingungen: ob Laub- oder Nadelwald, ob ein See ruht oder ein Fluss oder Wasserfall springen; die Jahreszeit spielt eine wichtige Rolle, die Tageszeit, das Licht, der Bildausschnitt. Denn so, wie es Jan Langer geschaffen hat, existiert das Kunstwerk nur im Moment seiner Vollendung. Bereits ein kurzer Regenguss, ein Windstoß oder das Tauwetter über Nacht verändern alles. Das Foto, dessen Abzüge Langer verkauft, hält die Schönheit dieses einen Moments fest.

 

Plätze voller Zauber

Die Orte findet der Meraner, der seit seiner Kindheit eine enge Bindung zur Natur fühlt, sowohl rund um seinen abgeschiedenen Bauernhof nördlich von Bozen als auch auf einsamen Wanderungen. Manchmal kommt Langer mit einer konkreten Vorstellung an einen vorher bestimmten Ort, oder er hat ein grafisches Muster dabei, das er umsetzen möchte. Oft aber weiß er nur, dass ein spezieller Platz mit seinen »verschiedenen Realitäten« seine Fantasie anregt. Und zuweilen geht er ganz ohne vorgefasste Ideen los. Während er dann arbeitet, oft sechs bis acht Stunden an einem Tag, intensiviert die Kunst sein Naturerlebnis. Eine Wechselwirkung entsteht: Die Natur inspiriert die Kunst, die die Empfindung im Freien steigert. »Das Kunstwerk macht das ästhetische Potential des Ortes sichtbar«, sagt Langer. Als Ergebnis bleibt nur das Foto. Bildausschnitt und Licht müssen stimmen; die Möglichkeit des Scheiterns besteht immer und zu jedem Zeitpunkt der Gestaltung.

Der Wald als Leinwand

Andy Goldsworthy ist Jans großes Vorbild; erst durch den britischen Naturkünstler kam der studierte Psychologe Langer zur Kunst. Anders als Walter de Maria etwa, der seine Stahlstäbe für »Lightning Field« auf dem Hochplateau in New Mexico zurückließ, oder James Turrell, der für seinen »Roden Crater« Erdmassen bewegte, arbeitet der Südtiroler nur mit den Materialien, die er in der Natur vorfindet und die er selbst tragen kann – unzählige Fichtennadeln, die eine 40 Meter lange Spur auf einem verschneiten Bergsattel bilden, Blätter, Äste oder leuchtend orangerote Vogelbeeren, die um die Wurzeln eines Baumes liegen oder auf einem zugefrorenen See ein Muster formen. Es ist Langer wichtig, nicht invasiv einzugreifen; seine Kunstwerke hinterlassen nur flüchtige Spuren.

Natur ist nicht kalkulierbar, sie birgt Geheimnisse – auch damit arbeitet der Künstler. Wieso seine Kugel überm Wasserfall die Schwebe hält oder weshalb die »Erscheinung« mitten in der Höhle an ihrem Platz bleibt, behält Langer für sich. Bis heute ist ihm selbst nicht restlos klar, wie er zur Land Art gekommen ist. Eine wichtige Rolle hat ein kleiner See in der Nähe von Meran gespielt, den Langer seit seiner Kindheit immer wieder aufgesucht hat. Er fing an, aus Ästen ein Muster zu legen. Am nächsten Tag kam er wieder und am folgenden erneut. In der Waldeinsamkeit fand der Südtiroler, der vorher nie etwas mit Kunst oder Fotografie im Sinn hatte, seine Berufung als bildender Künstler: ein Erweckungserlebnis in der freien Natur dank ihrer unendlichen Wandelbarkeit. 

Zwischen Musik und Stille

Noch kann sich Langer nicht von den Fotoabzügen seiner Kunstwerke finanzieren. Sein Brot verdient der Percussionist mit Musikstunden und als Teil der Band »Opas Diandl« – das Laute und Gesellige des gemeinsamen Musizierens und das stille Kunstschaffen im Wald bilden zwei Pole seines Lebens. Ausgerechnet zur Zeit der Corona-Pandemie erlebte Langer eine hochproduktive Schaffensphase, zugleich lag seine gerade erst begonnene Ausstellungstätigkeit auf Eis. Während der Südtiroler seine Umgebung durchstreifte, hingen seine Bilder in einer süddeutschen Galerie, ohne dass sie jemand anschauen konnte; das war paradox und auch eine Form des Zurücklassens. 

Bei seinen ersten Land-Art-Werken fiel es dem Künstler schwer, seine Objekte, nachdem sie fertig und fotografiert waren, den Elementen zu überantworten, so als sei die Kunst schutzbedürftig. Inzwischen schätzt Jan Langer den Moment des Zurückgebens am meisten. Er hat von der Natur genommen, ihre Materialien ausgeliehen für sein Kunstwerk, und danach lässt er alles zurück. Am Ende bleibt Dankbarkeit.

Bisher hat Britta Mentzel Land Art vor allem mit englischen und amerikanischen Künstlern verbunden. Aus Jan Langers Werk kann man fast die Stille heraushören, in der es entstanden ist, findet sie. Mehr Informationen unter www.landart.vision

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